Die Freundschaften der Dinge

Text von Sarah Jürgel

erschienen in: Darja Eßer, Die Freundschaften der Dinge, Düsseldorf 2018 (Katalogpublikation)

 

Behutsam und poetisch setzt Darja Eßer ihre Bildmotive in Beziehung zueinander. Die Künstlerin transkribiert intuitiv und sinnlich Erfahrungen aus Alltag und Natur ins Medium der Zeichnung. Die Bildfindung leitet sich hierbei vom haptischen Gefühl des direkten Kontakts ab. Von Material zu Inhalt, von Bildidee zu Objekt. Als ihr beständiger Favorit fungiert das Material Papier in dreierlei Arten: bei kleinformatigen Zeichnungen auf Aquarellpapier, bei großformatigen ­Blättern auf handgeschöpftem Papier sowie bei plastischen Papierobjekten, die direkt an die Wand installiert werden.

Besonders im warmen Charakter des handgeschöpften Papiers ist der geduldige und kontemplativ handwerkliche Arbeitsprozess Darja Eßers nachzuempfinden. Aus der Rinde des Maulbeerbaums fassoniert sie nach traditionellem japanischen Rezept das als kozogami bekannte Zeichenbütten. In diesem aufwendigen, mehrtägigen Vorgang bringt die Künstlerin Bastfasern in papierne Form und erschafft sich originär und konsequent ihre eigene Arbeitsgrundlage. Die im fertigen Blatt noch gut zu erkennenden Fasern zeugen von der Balance aus fragiler Transparenz und solidem Geflecht und agieren gleichsam als strukturschaffendes Zeichenelement. Die Haptik von gezeichneten Pflanzenblättern verweist im doppelten Sinne auf deren naturhaften Ursprung, pastellene Stofflichkeit löst auch beim Betrachter ein Gefühl des Fühlenwollens aus.

Der intensiven Auseinandersetzung mit chinesischer Kalligrafie seit 2014 folgte die kohärente Hinwendung zum stilistischen Einsatz von konkreter Linie und weißem Raum. Die klare Darstellungsweise ist gezeichnet von Konzentration und Reduktion. Entschlossen zelebriert Darja Eßer die Schönheit der präzisen Linienführung: Aquarellfarbe und Tusche, vereinzelt auch Garn, schaffen Kontur. Teils dirigiert, teils unkontrolliert und zufällig fließt wässrige Tusche sanguin auch beim Befüllen von Bildräumen. Dabei denkt die Künstlerin nicht nur Farbflächen, sondern auch den leeren Umraum mit, denn die freie Fläche verhilft den Bildobjekten zu Präsenz und Kraft.

Mit den dreidimensionalen Objekten erlebt das Medium Zeichnung eine Ausdehnung in den Raum. Spielerisch wandelt die Künstlerin hierbei die Funktion ihres Papiers vom Bildträger zum Bildobjekt, die weiße Wand ersetzt das Blatt Papier. Bei den Bildgegenständen wird deutlich: Ihr Interesse gilt Formgestalt und der prozesshaften Auflösung von Körpergrenzen. Von detailliert bis schematisch oder schablonenhaft beschreibt sie bildstark das Eintauschen und Wiederbeleben vertrauter Formen in der Diffusion von Innen und Außen.

Diese künstlerische Arbeitsweise unterstreicht ein Eigenleben des Materials, organische Substanzen zeugen vom irdischen Kreislauf: Im Fluss des Lebens werden Hüllen geboren und gehen verloren. Als Farn, Lunge, Rotkehlchen oder Schildkröte kleidet sich die Welt. Komparable Formen nutzt die Natur für ihre Kinder, trotz unterschiedlicher Namen. Verpackungen wiederholen sich und kehren auf diverse Art zurück. Der Mensch imitiert dieses essentielle Handwerk und legt Schuhe, Kleid und Rucksack an. Im wandernden Bewusstsein seiner eigenen Vergänglichkeit leiht er sich gleichsam seine Hülle, erblüht im Frühling und verwelkt gen Winter.

Darja Eßer greift das klassische Vanitas-Thema auf und betont darin Instabilität und Auflösung des Sichtbaren ganz frei von Traurigkeit. Mit ihrem zeitgenössischen Memento mori paart sie die Poesie des Vergänglichen mit einer Hymne auf das unermüdlich Lebendige. Die luftigen Zeichnungen und filigranen Papierobjekte eröffnen dem Betrachter diverse Sichtweisen des Verstehens, regen zu Assoziationen und Analogien an. In ihrer Mehrdeutigkeit versprechen die Kunstwerke Raum zur Ergänzung, formen Wege in die Schatzkiste persönlicher wie kollektiver Erinnerungskultur und strahlen zugleich eine beständige Ruhe aus.